Covid 19: Sicherung der Strukturen für Menschen mit Behinderungen

Gemeinsamer offener Brief der Werkstätten und Werkstatträte an die Politik zur Situation in Werkstätten und Forderungen nach verbindlichen Aussagen zur Bewältigung der Pandemie

Offener Brief der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen Berlin e.V. und der Landesarbeitsgemeinschaft Werkstatträte Berlin:


Sehr geehrte Frau Senatorin Breitenbach,
Sehr geehrte Frau Senatorin Pop,
Sehr geehrter Herr Senator Dr. Kollatz,

die COVID 19 Pandemie ist für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft eine große Belastungsprobe. Durch Verordnung vom 19. März 2020 hat der Senat von Berlin festgelegt, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung nicht geöffnet werden dürfen, soweit es sich nicht um eine Notbetreuung von Menschen mit Behinderungen handelt. Diese aus Infektionsschutzgründen nachvollziehbare Entscheidung des Senats hat erhebliche Auswirkungen, nicht nur auf die Werkstätten selbst, sondern auch auf die betroffenen Menschen mit Behinderungen und ihr Wohnumfeld.

Sie benötigen in dieser besonderen Situation individuelle Betreuungen, Stabilisierung und Begleitung. Dabei sind insbesondere ihre Bezugspersonen in den Werkstätten häufig ihre ersten Ansprechpartner. Für die Werkstätten ist es Teil des Selbstverständnisses, in der Verantwortung für die Menschen diese weiterhin eng zu betreuen. Dies beschränkt sich gerade nicht nur auf die noch körperlich in der Werkstatt anwesenden Menschen mit Behinderungen sondern in besonderer Weise auch auf die, die in ihrem Wohnumfeld verbleiben müssen. Eine Anbindung und verlässliche Struktur ist besonders für diesen Personenkreis elementar wichtig, um ein mögliches Abgleiten in eine Krise zu verhindern. Die Formen der Betreuung in dieser Phase weichen vom üblichen Werkstattgeschehen ab, da sie überwiegend telefonisch, über soziale Medien oder aufsuchend erfolgen. Die Betreuung ist damit weit individueller als im üblichen Werkstattgeschehen, die ansonsten nutzbaren Synergien bei Anwesenheit der Menschen mit Behinderung sind nicht gegeben. Werkstätten erfüllen damit in besonders aufwändiger Weise weiterhin Ihren Betreuungsauftrag individuell und personenzentriert, auch für die nicht in der Werkstatt anwesenden Menschen mit Behinderung.

Die Kostensätze für den Arbeitsbereich und den BFB sind daher auch für die durch Verordnung vorgegebene Abwesenheit der Menschen mit Behinderung in den Werkstätten ohne Anrechnung auf Freihalteregelungen verbindlich weiter zu gewähren und nicht zurückzufordern.

Neben der veränderten aktuellen Anleitung der Menschen mit Behinderung sind die Fachkräfte in den Werkstätten gemeinsam mit den sogenannten Produktionshelfer*innen in die Produktion und Erbringung von Dienstleistungen eingebunden. Das Arbeitsergebnis - also Produktionserlöse - dient dazu, den Menschen mit Behinderung ein angemessenes Entgelt entsprechend § 221 SGB IX zu zahlen. Die aufgrund der Corona-Krise einbrechende Wirtschaft führt bereits jetzt zu erheblichen Umsatzrückgängen für die Werkstätten. Entgelte können bis zu maximal sechs Monaten durch Bedienung aus der von Werkstätten vorzuhaltenden Ertragsschwankungsrücklage bedient werden. Es gilt aber Kunden nicht dauerhaft zu verlieren, um Beschäftigung (und Umsatzerzielung) für die Menschen mit Behinderung bei ihrer Rückkehr in die Werkstatt sicherzustellen. Ein dauerhafter Verlust von Kunden kann derzeit in gewissem Umfang verhindert werden, indem trotz Abwesenheit der Menschen mit Behinderung ausgesuchte Produktionstätigkeiten aufrechterhalten werden. So wird eine Zerschlagung der gewachsenen Strukturen und Kundenbeziehungen verhindert, um in der Zukunft angemessene Beschäftigung für die Menschen mit Behinderung bieten zu können und ihnen Entgelte zahlen zu können. Von den derzeit zur Verfügung gestellten Sofortmaßnahmen zur Stützung der Wirtschaft können Werkstätten aufgrund ihrer Struktur und besonderen Ausrichtung nicht kurzfristig Gebrauch machen.

Es bedarf einer zielgerichteten Maßnahme für Werkstätten, so dass für die mehr als 10.000 Menschen mit Behinderungen künftig noch Entgelte gezahlt werden können.

Die 17 Werkstätten in Berlin stellen aktiv und tatkräftig Angebote bereit, um die Versorgungsstrukturen in anderen Bereichen zu entlasten. Hilfen wie Essensversorgung, Aufrechterhaltung der Wäschereibetriebe, Betreuung bei Freizeitaktivitäten oder auch der Einsatz von Heilerziehungspfleger*innen in der Tagesstruktur werden umgesetzt, um die Grundversorgung der Leistungsberechtigten auch in anderen Leistungsangeboten sicherzustellen.

Für die Sicherheit der Werkstätten und der Menschen mit Behinderung bitten wir um verbindliche Aussagen und Beschlüsse des Berliner Senats zu den beiden dargelegten Kernforderungen.


Dieses Schreiben wird ebenso vom Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Berlin gezeichnet, da für unsere über 10.000 Kolleg*innen in den Werkstätten die Aufrechterhaltung der Strukturen und der Finanzierung elementar sind. Die Auswirkungen von COVID 19 müssen so gering wie möglich gehalten werden. Kürzungen des Arbeitsentgeltes, aufgrund von einbrechenden wirtschaftlichen Einnahmen, können die psychische Belastung für unsere Kolleg*innen weitaus länger ausdehnen als notwendig. Es ist aus unserer Sicht dringend erforderlich, dass sämtliche Kosten der Werkstätten für behinderten Menschen erstattet werden, um dem Gefühl der Machtlosigkeit der Werkstattbeschäftigten durch gesicherte Entscheidungen Ihrerseits entgegenzuwirken und den nahtlosen Übergang zurück in das Arbeitsleben ohne weitere Einschränkungen für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.

Download des Schreibens vom 3.04.2020 an SenIAS, SenWEB, SenFin

 

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